Krimikritik: Colin Niel – Nur die Tiere

btr

Nicht nur in Feuilletons werden (alte) weiße Männer verlacht, neuerdings gehören sie auch in Romanen zu den Kunden, über die man sich nicht nur amüsieren, sondern mit denen man auch aufgrund ihrer Schwächen so richtig Kohle machen kann. Man muss sie nicht sehen, man muss sie nicht kennen, das Internet kennt keine Grenzen. Und so kommt es, dass einsame Menschen wegen ihrer romantischen Attitüden zur leichten Beute für afrikanischen Jungs aus der Elfenbeinküste werden.

Es gibt zwar Jungs, die das Geld, das sie verdienen, zurücklegen oder eine Familie ernähren, es gibt aber auch die anderen, denen das Geld zur Selbstdarstellung dient, dem Großtun vor Frauen, die sie beeindrucken wollen und dabei glauben, sie zu lieben. Es kommt noch schlimmer, sie wollen den schnellen finanziellen Erfolg, den sie mit den weißen Männern erzielen, auf jeden Fall erhalten und dabei soll ihnen der böse schwarze Mann helfen. Dieser wird für seine Fürbitte einen schlimmen Tribut fordern.

Das alles gehört zu einem Beziehungsgefüge in dem Buch „Nur die Tiere“ von Colin Niel. Der Autor, der seine Geschichte so eindrucksvoll verwoben hat, entwickelt nicht nur seine Figuren aus dem jeweiligen Umfeld, sondern auch aus den Besonderheiten der persönlichen Entwicklungschancen, die ihnen mitgegeben werden und die mit Blick auf die Realität in den meisten Fällen fester und unabdingbarer sind, als wir uns vorstellen können.

Zwei weiße Männer leben auf einem Hochplateau in den französischen Bergen. Der eine ist Rinderzüchter, der andere Schafzüchter. Einer ist mit einer Sozialarbeiterin verheiratet. Der andere lebt mit seinen Schafen allein. Die Frau des Rinderzüchters hilft den Bewohnern, mit ihrem Leben klarzukommen. Sie kümmert sich um Anträge, Abgaben und gibt auch persönlichen Zuspruch, wenn ihn die vereinsamten Menschen brauchen. Ausgerechnet bei ihrem Ehemann versagt sie. Das liegt nicht nur an ihr, sondern auch an ihrem Ehemann, der nicht nur mit dem Hof überfordert zu sein scheint, sondern auch später resümiert, sie nie geliebt zu haben. Er hat sie geheiratet, weil ihm am Hof mehr lag als an ihr.

Den Schafzüchter trifft es noch härter. Er lebte vorher mit den Eltern zusammen und hat nie gelernt, mit Frauen umzugehen, geschweige sie zu verstehen. Er fühlt sich unwohl in der Gegenwart von lebendigen Frauen. Beide Landwirte leben mit den Tieren, sie kennen ihr Wohlbefinden und ihre Schmerzen. Sie gehen in ihrer Fürsorge auf. Eine große Einsamkeit umgibt sie, eine Leere, die sie nicht füllen können und sie nach Auswegen suchen lässt, die die Geschichte unheilvoll vorantreibt. Ausgangspunkt ist das Verschwinden von Evelyne Ducat, die in den Bergen spazieren gehen wollte und mit den Männern auf diese oder jene Weise zusammentrifft.

Während man große Empathie für die beiden Männer entwickelt, treten bei Evelyne Ducat unsympathische Seiten hervor, die mit ihrem oberflächlichen Liebesleben und ihrer Lebensform zusammenhängen. Und da ist noch Maribe, ihre Geliebte. Als Figur erschaffen, um den Plot zu runden, gibt sie auch in ihrem Schmerz und in ihrem Liebesbegehren eine bestechende Person ab.

In beeindruckender Weise werden die Figuren gegeneinandergesetzt, bis sich alles zu einem großartigen Bild zusammenfügt. Das ist spannend erzählt, ohne die Figuren bloßzustellen. Die Liebe, mit der Niel seine Figuren umgibt, überträgt sich auf den Lesenden und machen das Buch zu einem spannenden Erlebnis.

Das Ende gehört dem Rinderzüchter, der in der Realität angekommen ist, sie aber nicht anerkennen will. Wenn wir wollen, können wir uns auch mit seinem Verhalten den Einstieg in eine neue, zukünftige Welt erklären. In einer von Individualismus und Ich-Stärke geprägten Welt wird der spielerische Umgang in den virtuellen Welten zu einer neuen Erfahrung. Was brauchen wir Menschen, die uns demütigen, verlachen oder übervorteilen, eine KI-Frau oder ein KI-Mann könnten viel effektiver unsere seelischen Bedürfnisse bedienen. Und sie passen sich wunderbar an unser reales Leben an.

Krimikritik: Dror Mishani – „Drei“

Drei Frauen treffen sich nacheinander mit ein- und demselben Mann. Es wird Schlimmes geschehen. Warum?

1.
Die erste Frau ist Orna, eine alleinstehende Gymnasiallehrerin, die mit ihrem achtjährigen Sohn zusammenlebt. Da sie ihr Leben nicht einfach vorbeiziehen lassen will, ergreift sie nach Stunden der Einsamkeit die Initiative und meldet sich auf einem Datingportal an. Sie findet einen Mann, wählt ihn aus, weil sein Profil einigermaßen nichtsagend war. Der Grund liegt tief, weil sie es nicht vermag, sich gedanklich von ihrem geschiedenen Mann zu lösen. Diese große Verletztheit lässt sich nicht einfach abstreifen.
Anfangs zeigt sie sich beim Kennenlernen des durchschnittlichen Mannes zögerlich und unentschieden. Doch nach und nach kommt ihre durchaus selbstbewusste Art zum Vorschein. Was auch seinem unaufdringlichen Verhalten geschuldet ist. Er drängt sich nie auf, passt sich ihren Launen an, erweckt den Eindruck, dass nur ihre Entscheidung zählt, gibt ihr durch seine Konfliktvermeidung ein Gefühl der Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Erst nach einiger Zeit lernt sie die unbekannten Seiten bei ihm kennen. Zufällig begegnen sie seiner Frau, mit der er angeblich in Scheidung lebt, und Orna ahnt, dass noch engere Bande bestehen als gedacht.
Anstatt die Beziehung wie ein Sexabenteuer zu nehmen, provoziert sie ihn immer heftiger. Sie strebt ein normales Leben an, in dem der neue Mann seinen Platz finden soll. Den Platz, den sie allein bestimmen will. Sie bevorzugt eher eine lockere Beziehung, aber tief im Innern will sie ihn auch nicht mit anderen Frauen teilen. Von Unschlüssigkeit gepeinigt, von Selbsthass getrieben, denkt sie über die Auflösung der Beziehung nach. Schwankend zwischen Scham und Sehnsüchten bemerkt sie nicht, wie ihr Gegenüber seine Bestrebungen Schritt für Schritt verstärkt, ein grausames Spiel spielt, während sie sich noch einbildet, mit ihrem provozierenden Gehabe Einfluss auf sein Verhalten nehmen zu können.
2.
Die zweite Frau ist Emilia, eine Frau aus Riga, die als Ganztagespflegerin über eine Vermittlungsagentur nach Israel eingereist ist. Anfangs pflegt sie einen älteren Mann, passt sich seinem Lebensrhythmus an, bis er verstirbt. Auch ihr Leben ist aus der gewohnten Ordnung gefallen. Mit einiger Mühe findet sie eine schlechtbezahlte Arbeit bei einer demenzkranken Frau, muss aber auf dem Sofa schlafen und wird von der Frau und ihren Verwandten herablassend behandelt. Da lernt sie den Mann kennen, der ihr als Rechtsanwalt zu einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung verhelfen soll. Der Mann zeigt sich ihr gegenüber sehr behilflich, bietet ihr eine zusätzliche Arbeit an, indem er sie bittet, seine Wohnung zu putzen.
Nach und nach wird aus ihrer geschäftlichen Beziehung eine engere Bekanntschaft, die ihr Denken in fürsorgliche Bahnen leitet. Sie beginnt sogar, die Wohnung des Mannes durch Deckchen und neue Haushaltsgegenstände häuslicher zu gestalten. Bisher hatte sie ihre Umwelt aus einer negativen Brille betrachtet und den Menschen abwehrend gegenübergestanden. Es gab nur eine lose Beziehung zu einem Priester, den sie regelmäßig in der Kirche besuchte und der ihr die Fremdheit etwas nehmen konnte. Jetzt lebt sie auf und fängt an, nach und nach ihre Pflöcke einzuschlagen. Als sie sich sogar vorstellen kann, mit dem neuen Mann ihre alte Heimatstadt zu besuchen, ist ihre Gutgläubigkeit an einem Punkt, der sie alle Vorsicht vergessen lässt. Und wir wissen, nicht immer im Leben ist ein Zuwachs an Nähe mit einer Abnahme von Gefahr verbunden.
3.
Bei der dritten Frau handelt es sich um Ella, eine junge, verheiratete Akademikerin, die zu Hause ihre drei Kinder betreuen muss. Um der täglichen Routine mit Kindern und Hausarbeit zu entfliehen, sucht sie am Vormittag ein Café auf. Dort will sie ungestört an ihrer Masterarbeit arbeiten. Auch der Mann, dessen Arbeitsstätte nicht weit entfernt liegt, besucht das Café regelmäßig. Es brauchte nur eines kleinen Schrittes, um sich kennenzulernen. Aber der Mann hatte sich verschätzt, er trifft hier auf die selbstbewussteste Frau der drei Frauen, die sich durchaus zu wehren weiß.

Die drei Lebensgeschichten werden aus der Perspektive der Frauen erzählt. In ihren unzufriedenen Situationen suchen sie nach einem emotionalen Ausweg, der ihnen Entlastung bringen soll. Dror Mishani versteht es ausgezeichnet, ihre jeweiligen Befindlichkeiten zu sezieren und ihre Annäherung an den Mann in unmerklichen Veränderungen zu formen.
Der Plot ist originell angelegt. Wird in den meisten Kriminalromanen großer Wert auf das Vorleben der Protagonisten gelegt, um eine Ursache für ihr Handeln herauszuarbeiten, steht hier die Entwicklung der Beziehungen im Vordergrund, die in einem lakonischen und nüchternen Ton erzählt wird.
Das Motiv des Täters bleibt im Dunkeln. In wenigen Aussagen wird seine finanzielle und familiäre Situation klarer, aber nie greifbar. Seine psychische Verfasstheit schimmert als Reaktion auf das Verhalten der Frauen durch.
Erst als die Polizei einen Zusammenhang zwischen den drei Frauen erkennt, kann der Mann überführt werden. Das ist spannend erzählt, der LeserIn wird genügend Raum gegeben, in dem psychologisch ausgefeilten Krimi die Leerstellen mit ihren Erfahrungen zu füllen. Und ehrlich gesagt, ist es am Ende auch das, was wir in Büchern immer wieder suchen.
Für mich der außergewöhnlichste und beste Krimi dieses Jahres.

Henny Hidden

Krimikritik: Regina Nössler – Die Putzhilfe

Es gibt einfache Wahrheiten. Das gegenwärtige Leben kann man nur verstehen, wenn man die Vergangenheit einschließt. Unsere Zukunft bauen wir auf dem Vergangenen.
Auch wenn wir diese abgedroschenen Sätze zu Genüge kennen, veralten werden sie nie. Nicht nur Historiker finden in ihnen ihre Daseinsberechtigung, auch das individuelle Verhalten wird durch eine Rückschau auf vergangenes Leben erklärbarer. Die Vergangenheit ruht nicht, schon gar nicht, wenn in ihnen die dunklen Stellen unseres Lebens liegen.
Sie spuken in unseren Köpfen und spülen unsere Ängste hoch, insbesondere, wenn sich Menschen durch eine Schuld belastet fühlen. Umso kürzer die Zeitspanne des auslösenden Ereignisses ist, umso mehr wird die Angst zum alltäglichen Begleiter.

Schuld haben alle drei Protagonistinnen in Regina Nösslers Krimi „Die Putzhilfe“ auf sich geladen.
Da ist die dreiunddreißigjährige Franziska Oswald, die auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann in Berlin strandet. Die Angst, entdeckt zu werden, sitzt ihr im Nacken. Schon früh fragt sich die Leser/in, warum sie diesen für sie demütigen Weg wählte, um aus ihrem idyllischen Leben auszubrechen.
Zufällig lernt sie im Museum die fünfzigjährige Henny Mangold kennen, die ihr voller Sympathie eine Putzstelle in ihrem Haushalt anbietet. Auch diese Frau hat Schuld auf sich geladen, ihr Verhalten gibt Rätsel auf und wird erst klarer, als die gegenwärtige Nötigung ans Licht kommt.
Und da ist noch Sina, ein fünfzehnjähriges Mädchen, das gern mit ihren Fäusten austeilt, weil sie Langeweile und Wut nicht aushalten kann. Franziska lernt dies auf schmerzhafte Weise kennen. Auch dieses Mädchen ist von Schuld belastet, fürchtet aber eher die Strafen aus ihrem Umfeld als schlaflose Nächte.

Die wenigen Außenkontakte, die Franziska hat, bewegen sie, das Mädchen Sina in ihre Wohnung einzuladen. Nach und nach freunden sich beide an. Das ist ungewöhnlich für Franziska, die sonst zurückhaltend bis ablehnend agiert.

In ihren Gedanken verhält sich Franziska zu ihrer Arbeitgeberin ablehnender als sie das tatsächlich zeigt. Innerlich rechtfertigt sie solche Diskrepanzen, indem sie meint, auch in der Vergangenheit sei sie immer um einen guten Eindruck bemüht gewesen.
Aber die dienende Rolle, die sie vordergründig aus Geldgründen gezwungen ist, einzunehmen, gefällt ihr immer weniger. Und als nach Monaten ihre unterschwellige Angst abnimmt, schiebt sich die Frage nach ihrer Identität mehr und mehr in den Vordergrund und verleitet sie zu einem fatalen Fehler. Vor allem fehlt ihr das akademische Milieu, in das sie sich in ihrem alten Leben eingerichtet hatte, sie, die promovierte Soziologin mit dem Wunsch nach einer Professur und einem aufgebauten Elitebewusstsein, für das sie nach ihrer Meinung nach hart gearbeitet hatte.

Die Wahrheit steht auf einem anderen Blatt. Da die Autorin ihren Roman aus der Perspektive der drei Protagonistinnen erzählt, stehen für die Leser/in die Wahrnehmungen und Gewissheiten fest auf dem Boden der Tatsachen. Flankiert von den Berichten der Bezugspersonen, die sie umgeben oder umgeben haben. Dadurch wird der Eindruck erweckt, die Wahrnehmungsebene deckt sich mit der Realität. Das ist raffiniert, sehr stimmig und mit einer gewissen Selbstverständlichkeit erzählt. Als Leser/in muss man die ganze Zeit gegenarbeiten, um nicht diesem Sog zu verfallen.
So wie wir uns auch hüten müssen, die Wahrnehmungsverzerrungen, denen wir alle unterliegen und die unser Handeln bestimmen, nicht ab und an zu hinterfragen. Manchmal bekommen wir noch wie in diesem Fall eine Aufklärungshilfe, manchmal aber auch nicht.
Große Begeisterung!

Henny Hidden