Interview mit Numi Teusch

Henny Hidden: Am 11. Juli ist Dein Buch „Die dunkle Seite der Insel“ bei amazon erschienen. Nach über einem Vierteljahr hätte ich gern gewusst, wie zufrieden Du mit der Aufnahme Deines Buches bist?

Numi Teusch: Man kann sich als Autor bei Amazon so eine Art Erfolgskurve ausdrucken, wie sich das eigene Buch verkauft, das sieht aus wie Aktien an der Börse! Und ich kann stündlich nachschauen, wie das aktuelle Ranking ist, das ist interessant, macht einen aber auch ganz wuschig. Nach der ersten schlechten Kritik gab es einen Einbruch bei den Verkäufen, dann hat es sich wieder erholt. Puh. Was mich wirklich freut, sind die positiven Rezensionen, die man auf Amazon bekommt.Letzte Woche stand da eine gute Kritik von einer Kollegin. Sowas ist toll. Davon wünsche ich mir noch mehr, also von den positiven Kritiken …

Henny Hidden: Es ist das erste Mal, dass ich eine Autorin interviewe, die ihr Buch als e-Book auf den Markt gebracht hat. Deshalb hätte ich ein paar spezielle Fragen, die sich um das Selbstpublishing drehen. Kannst Du diesen Weg der Veröffentlichung jungen AutorInnen empfehlen? Worin siehst Du die Vorteile, worin die größten Nachteile?

Numi Teusch: Ja, und nicht nur jungen AutorInnen. Wenn man sich die amerikanischen Erfolgsgeschichten anschaut, sind das ganz oft Leute, die jahrelang vergeblich versucht haben, ihre Sachen bei Verlagen unterzubringen, um dann mit einem selbstpublizierten Buch großen Erfolg zu haben. Die Vorteile sind: Du musst nicht durch diesen Trichter aus Agenten und Verlagslektoren, die wahrscheinlich nur versuchen, die angesagtesten Publikumsinteressen zu erraten. Du kannst sagen, ich schreibe das, weil es mich interessiert, und wenn es mich interessiert, dann könnte es ja auch jemand anderen interessieren.
Du kannst alles selbst bestimmen, den Satz, das Cover, den Preis! Du hast die zeitlichen Abläufe in der Hand, musst nicht darauf warten, dass ein Agent den Stoff gelesen hat und dann ein Verlag und dann kommt er nächstes Jahr ins Programm oder auch erst übernächstes, wenn deine Geschichte vielleicht schon gar nicht mehr state-of-the-art ist oder jemand anderes eine ähnliche Idee hatte. Du hast eine Kontrolle über die Verkäufe und ein direktes Feedback von den Lesern. Aber leider haben ja erst ganz wenige Leute einen eReader. Die anderen erreiche ich nicht, das ist schade. Es macht ja keinen Spaß, ein ganzes Buch auf dem Computer, iPad oder Smartphone zu lesen, das möchte ich niemandem zumuten. Wobei ich mir langfristig schon vorstelle, dass der Trend zum eReader geht, auf jeden Fall für unterwegs – und zu Hause holt man sich das Buch noch mal gedruckt fürs Regal und fürs Gefühl. Als eBook-Autor wird man auch noch nicht richtig ernst genommen, keine Einladungen, keine Preise, keine Lesungen, keine Autorenzusammenschlüsse, kein VG-Wort … Außerdem liegt das Buch nicht im Laden und ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich meinen sympathischen Buchhändlern ein Stück vom Kuchen wegnehme. Und ich muss mich natürlich auch um die Vermarktung kümmern. Das mache ich nicht so gerne. Wer verkauft sich schon gerne selber?

Henny Hidden: Hast Du das Cover selbstgestaltet? Wie hieltest Du es mit dem Lektorat? Hast Du nur über amazon veröffentlicht oder benutzt Du noch andere Vertriebskanäle? Wie sind Deine Erfahrungen mit den Verkaufsplattformen?

Numi Teusch: Das Cover habe ich selbst gestaltet, unter Verwendung eines eigenen Fotos. Und das hat sehr großen Spaß gemacht! Eine Bekannte von mir ist Lektorin, sie hat mir einen Freundschaftspreis gemacht und war meine erste Leserin. Das war eine super Erfahrung. Die erste Bestätigung, dass das, was ich hier mache, nicht nur privater Käse ist, sondern auch vor Publikum bestehen kann. Das war wichtig, sonst wäre aus der Sache vielleicht trotz der vielen Arbeit nichts geworden. Nach der ersten Überarbeitung gab es noch ein zweites Lektorat, wieder mit guten Anregungen. Und natürlich im Kampf gegen die Rechtschreibfehler. Ich finde die Fehler nicht im eigenen Text, dazu braucht man eine neutrale Person. Es sind ja wohl trotzdem noch ein paar Rechtschreibfehler drin, man kann also gar nicht oft genug drauf gucken lassen. Amazon ist, soviel ich weiß, im Moment die interessanteste Alternative, mit den anderen habe ich mich noch nicht gründlich genug beschäftigt.

Henny Hidden: Du bietest das Buch für 2,99 € an. Wie bist Du mit Deinem bisherigen Verdienst bei amazon zufrieden?

Numi Teusch: Ich denke, ich habe inzwischen so viel verdient, wie ich vielleicht bei einem kleinen Verlag als Anfängerin bekommen hätte, und das nach Abzug der Kosten für Lektorat und Marketing. Das ist natürlich super. Trotzdem ist es mein eigenes finanzielles Risiko, ein Roman wächst ja nicht auf dem Baum, ich muss meine Zeit investieren und in der Zeit kann ich kein anderes Geld verdienen.

Henny Hidden: Was tust Du, um Dein Buch bekannt zu machen?

Numi Teusch: Nächste Woche nehme ich mit einer Freundin zusammen einen Radiospot auf, ein kleiner Sender auf Teneriffa hat mir versprochen, den dann ein paar Wochen lang zu bringen, ich bin sehr gespannt! Ansonsten habe ich eine große Rundmail an Freunde und Bekannte geschickt, mir eine Homepage eingerichtet und ein paar ausgesuchte Reiseredaktionen und Buch-Blogger angeschrieben. Am erfolgreichsten war bisher eine Gratisaktion auf Amazon.

Henny Hidden: Kommen wir jetzt zum Inhalt. Dein Krimi spielt auf den Kanarischen Inseln, genauer gesagt auf der Insel Teneriffa? Eine Ferieninsel, die von vielen deutschen Touristen besucht wird, und es verwundert auch nicht, dass ein Deutscher, der sich in diesem Urlaubermilieu bewegt, ermordet aufgefunden wird. Warum hast Du diesen Ferienort zu Deinem Krimischauplatz gewählt?

Numi Teusch: Teneriffa ist der perfekte Ort für Krimis. Es gibt Arm und Reich sehr dicht beieinander, unterschiedliche Kulturen und Milieus. Alle möglichen Spielarten des Verbrechens, von Drogenhandel und Korruption bis zum Mord aus Leidenschaft und Kalkül. Aber zuerst habe ich mich für die Guanchen begeistert, ein wahnsinnig interessantes Volk. Eine Steinzeitkultur mit sehr hohen menschlichen Werten im 16. Jahrhundert. Wo kamen die her? Gibt es die noch? Ein Rätsel! Am Anfang stand dieses Rätsel.

Henny Hidden: Lagen Deiner Entscheidung auch verkaufsstrategische Gründe zugrunde? In dem Sinne, dass man annimmt, potentielle Teneriffabesucher würden gerne dieses Buch lesen, weil sie sich auf das Land ihres künftigen Urlaubsbesuchs einstimmen wollen.

Numi Teusch: Wenn ich in Urlaub fahre, lese ich sehr gerne Bücher, die vor Ort spielen. Aber ich glaube nicht, dass man an ein Buch so verkaufsstrategisch herangehen sollte. Den Titel habe ich absichtlich neutral gewählt, damit er auch Leser anspricht, die mit Teneriffa gar nichts am Hut haben.

Henny Hidden: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Du mit Deinem Buch eine bestimmte Zielgruppe ansprechen möchtest. Es werden sehr viel Songs und Filmtitel eingestreut, die auf einen Wiedererkennungswert vornehmlich bei Jugendlichen setzen.

Numi Teusch: Ich fürchte, die meisten Songs, die in dem Buch vorkommen, kennen Jugendliche überhaupt nicht! Evelyn, die „junge“ Archäologin, ist 27, sie und ihre Kommilitonen spielen mit Assoziationen und da fließen ganz viele Zitate aus der Popkultur der letzten siebzig Jahre ein. Die Rentner dröhnen sich sowieso am liebsten mit den deutschen Schlagern zu, die ich noch aus meiner Kindheit kenne. Die Idee war, die einzelnen Protagonisten durch die Musik, die sie hören oder die sie umgibt zu charakterisieren. Bestimmte Stimmungen damit zu kreieren. Ich habe mir vorgestellt, dass jemand beim Lesen die Melodien vor sich hin summt oder sogar die Texte im Kopf hat, die meinen Text noch ergänzen. Am liebsten würde ich das Buch mit einer Musikplattform vernetzen, wo man immer die entsprechenden Sachen hören könnte. Aber wenn einen das nervt, kann man auch einfach darüber hinweglesen.

Henny Hidden: Nein, es nervt nicht. Ist mir nur aufgefallen. Weiterhin habe ich festgestellt, dass Du ausführlich die Konflikte zwischen jüngeren und älteren Inselbesuchern beschreibst. Besonders deutsche Rentner, die auf die Insel zugezogen sind, werden in ihrer Miefigkeit, Streitlust und Alkoholsucht dargestellt, bis hin zur depressiven Anita, die bei ihrem Elend nur noch Mitleid hervorruft. Ist das einer Realitätsnähe geschuldet oder wurde das aus dramaturgischen Gründen verdichtet?

Numi Teusch: Beides. Ich versuche so ein schwarz-weiß, gut-böse-Schema zu vermeiden, die haben alle Dreck am Stecken, die Jungen sind brutal und die Alten auch, jeder auf seine Art und Weise.Und Anita ist meine heimliche Lieblingsfigur! Dieses Um-sich-selber-kreisen, sich selber Regeln geben, das fast schon philosophische, verzweifelte Nachdenken über die Seele und die verlorene Jugend, das Nicht-mehr-mitkommen, der Dialog mit Paul McCartney… Anita verkörpert auch das Thema Heimat, das sich durch die ganze Erzählung zieht, ein roter Faden – vom Kommissar, der Schwierigkeiten mit seiner zu neuem Nationalstolz erwachenden Heimat hat, über die Guanchen, die irgendwo aufgebrochen sind, um auf den Kanaren zu landen – bis eben hin zu Anita und ihren deutschen Freunden, die aus Deutschland ausgewandert sind und dann versuchen, es sich in der Fremde möglichst deutsch einzurichten und gar kein Spanisch können und am liebsten den ganzen Tag deutsche Musik hören und deutsches Bier trinken und an Weihnachten schreckliche Sehnsucht nach zu Hause haben.
Es freut mich total, wenn ich in Rezensionen lese, dass die Charaktere als authentisch wahrgenommen werden. Ich kenne die Leute in meiner Geschichte, ich bin selber die Leute in meiner Geschichte, ich habe sie mir ausgedacht und sie haben ein Eigenleben entwickelt. Das spanische Polizeisystem zum Beispiel fand ich immer sehr kompliziert und komplex und da habe ich irgendwann aufgegeben und gedacht, jetzt erfinde ich einfach eine neue Polizeieinheit für meinen Kommissar. Es gab Regionalpolizeien in anderen Teilen Spaniens, nicht auf Teneriffa. So habe ich die Policía Canaria erfunden, auch um meinen Kommissar gleich von Anfang an in eine missliche Lage zu bringen. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich einige Jahre später erfahren habe, dass die Policía Canaria inzwischen tatsächlich eingeführt wurde. Also eigentlich habe ich die erfunden!

Henny Hidden: Der Kriminalfall ist eingebettet in das Leben einer studentischen Forschergruppe der Universität Frankfurt, die im Auftrag einer spanischen Universität Ausgrabungen vornimmt, um den Guanchen, den Ureinwohnern der kanarischen Inseln, in ihren Ursprüngen und ihren Lebensformen auf die Spur zu kommen. Das fand ich sehr interessant erzählt und auch der Bogen zu den heutigen Wallfahrern wurde gut geschlagen.

Numi Teusch: Ja, die Guanchen! Als ich angefangen habe, mich für sie zu interessieren, gab es noch relativ wenig darüber. Und dann hat es mich gereizt, eine eigene Theorie zu ihrer Herkunft aufzustellen, weil mir alles, was ich gelesen habe, nicht plausibel erschien. Ich hatte Angst, dass es vielleicht zu wissenschaftlich rüberkommt, also freut mich, dass es dir nicht so ging!

Henny Hidden: Ich konnte mit dem Begriff „Altertumsforschungsprosa“ nichts anfangen. Vielleicht kannst Du eine kurze Erklärung geben?

Numi Teusch: Ah, gibt es das Wort gar nicht? Das steht im Titel von Evelyns Doktorarbeit. Ich meine damit Texte über Archäologie. Geschichte wird ja nie neutral vermittelt sondern immer aus dem jeweiligen Blickwinkel einer Generation erzählt, der sich wiederum in der Sprache niederschlägt. Besonders aufgefallen ist mir das in C.W. Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“ von 1949, die erste populärwissenschaftliche Abhandlung zum Thema Archäologie, teilweise ziemlich schwülstig und paternalistisch. Und ich habe mir vorgestellt, dass Evelyn sich auch über diese Prosa geärgert hat. Ihre Arbeit mit dem Titel „Der Heimatbegriff in der deutschen Altertumsforschungsprosa“ ist von ihrer Professorin gerade abgelehnt worden, das ist der Grund, warum sie sich überhaupt in dieses ganze Teneriffa-Abenteuer stürzt.

Henny Hidden: Wo ein Kriminalfall ist, wird in der Regel auch ermittelt. Und natürlich gibt es einen kanarischen Kommissar, in den sich die Protagonistin Hals über Kopf verliebt. Hierbei kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass zuviel des Guten getan wurde und der Krimi in eine Liebesgeschichte abrutscht.

Numi Teusch: Oh nein! Wie kann man denn zu viel Liebesgeschichte haben? Also echt!
Ich mag Krimis nicht, wo alles Drumherum nur da ist, um der Spannung und dem Fall zu dienen und keinen Wert an sich hat. Den Kommissar habe ich mir beim Schreiben wie Javier Bardem vorgestellt, weil der tatsächlich von den kanarischen Inseln stammt, also aus Gran Canaria, und ich dachte, so müsste ein Guanche heute aussehen. Und da bin ich vielleicht etwas ins Schwärmen gekommen … Und die Geschichte zwischen den beiden interessiert mich! Die kommen aus zwei unterschiedlichen Kulturen, es gibt auch einen Altersunterschied und trotzdem ist da diese Anziehung …

Henny Hidden: Ich will das Interview mit einer Frage nach deinen schriftstellerischen Zukunftsplänen abschließen. Wirst Du weiterhin Krimis schreiben? Wirst Du bei Deinem Schauplatz bleiben, und werden die beiden Protagonisten Evelyn und Ben wieder dabei sein?

Numi Teusch: Dreimal Ja. So eine interkulturelle Fernbeziehung ist noch für die eine oder andere Überraschung gut … die Geschichte der Guanchen ist noch nicht zu Ende erzählt und Teneriffa, wie gesagt, bietet zahlreiche Möglichkeiten, was das Verbrechen angeht. Ein exotischer Schauplatz, der so überschaubar daherkommt, mit dem deutschen Supermarkt und den Handtüchern auf den Liegen und dann lauert da vielleicht der Abgrund direkt daneben, das Unheimliche im Alltäglichen, das Traurige im Lustigen. Krimi eben.
Vielen Dank fürs Fragen!

Henny Hidden: Die Freude liegt ganz auf meiner Seite. Ich danke Dir ebenfalls.